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Hey Chef, mach dich mal locker oder der pubertierende Hund

Ein junger Hund ändert sein Verhalten, mal kommt er auf Zuruf und mal nicht. Heute benimmt er sich perfekt und morgen geht er über Tisch und Bänke. Der Besitzer ist sich auf einmal nicht mehr sicher, ob dies der gleiche Hund ist, der vor einigen Monaten als Welpe ins Haus kam und sich immer so vorbildlich benahm. Jetzt ist der Hund 10 Monate und kommt nicht jedes mal wenn man ihn ruft, die Hundetrainerin rät ihn sobald er dann doch irgendwann kommt, wegzuschicken. Ebenfalls soll er statt neben dem Bett jetzt im Keller oder in einer Box (sg. Bench) schlafen. Ergänzend darf das Tier die nächsten 3 Tage dann nicht gestreichelt oder sonst wie beachtet werden, die Spaziergänge sind auf´s lösen lassen des Tieres zu beschränken, da spazieren gehen ein Privileg ist, welches der Hund durch sein nicht kommen verwirkt hat! Natürlich setzt man dann auch den Kettenwürger und das Stachelhalsband ein, mit dem man dem Hund so richtig klar macht wer das Sagen hat... Gefüttert wird er drei Tage gar nicht und dann nur aus der Hand - so lernt er von wem er abhängig ist.

Welche psychologischen Auswirkungen kann solches Verhalten des Halters beim Hund haben?
Eine Analyse:

Das ist mein Platz!Das Hundehirn und das Menschenhirn ähneln sich sehr stark in Aufbau und in den Verknüpfungen der einzelnen Hirnareale. Die DNA von Hund und Mensch ist zu 90% identisch. Setze ich jetzt das Alter des Hundes (10 Monate) in einen Kontext zum menschlichen Alter (ohne die rassespezifische Entwicklung des Hundes zu berücksichtigen) entsprechen diese 10 Monate etwa einem 14,5 Jährigen Mensch. Trage ich diesem Umstand Rechnung und beurteile das Hundeverhalten aus dieser Sicht, zeigt der Hund einfach nur pubertäres Verhalten. Ein Hund in der Pubertät? Dieser Umstand ist eindeutig mit ja zu beantworten. Rassetypisch beginnt die pubertäre Phase meist um den 6. Monat kann sich dann aber u.U. auch bis zum Abschluss über den 12. Monat erstrecken. Gerade "große" Rassen (Doggen) werden später erwachsen. Ist beim Mensch für die Auslösung der Pubertät das Gen GPR 54 zuständig, dürfte dieses Gen mit großer Wahrscheinlichkeit auch beim Hund vorhanden sein. Derzeit arbeiten verschiedene Universitäten daran dies nachzuweisen.

Pubertät beim Hund zeigt sich ähnlich wie beim Menschen.

  • Infrage stellen alles bisher gültigen
  • körperliche Veränderungen (Geschlechtsreife)
  • Abgrenzung (Schaffen von eigenen Bereichen)
  • Verteidigen bestimmter Bereiche
  • Verweigerungsverhalten
  • unsicheres, teilweise übertrieben wirkendes Auftreten

Das ist normal und wichtig, hier entwickelt sich eine Persönlichkeit und sucht Ihren Platz in der (Hunde) Gesellschaft. Der Hund setzt sich zu diesem Zeitpunkt mit seinen körperlichen Veränderungen (Geschlechtsreife) auseinander, er versucht seinen eigenen Weg zu finden, gleichzeitig sich aber auch in den Familienverbund (Mensch oder Hund) einzugliedern. Der Hund möchte alle Entscheidungen selber treffen, stellt dabei aber fest, das dies oft nicht zu dem gewünschten Ergebnis führt und wird sich dann -von sich aus -einer aus seiner Sicht souveräner Persönlichkeit anschließen.

Wird der Hundehalter mit den Verhaltensweisen seines pubertären Tieres konfrontiert und weiß um diesen Umstand, kann er gezielt darauf einwirken. Denn pubertäres Verhalten ist einerseits temporär, andererseits beeinflussbar.

Überprüfe ich jetzt die oben geschilderte Situation auf den Sinn der vorgeschlagenen Mittel zur Verhaltensbeeinflussung des Tieres, ergibt sich folgendes:

Der Hund kommt nicht zum Besitzer weil er einfach nur seinen Radius vergrößert hat, selbst Prioritäten setzt und versucht sich in der Welt zu recht zu finden.

Unterbinde ich dieses Verhalten jetzt, besteht die Gefahr das der Hund nicht autark und somit (über) lebensfähig wird.

Dazu kommt: Hunde haben eine sehr hohe soziale Intelligenz. Wenn der Mensch ignorantes Verhalten zeigt, ist dies meistens mit einer Ausgrenzung (in diesem Fall des Hundes) verbunden und das wird als sozial demütigend empfunden. Der Mensch vermittelt "Geh weg, Du gehörst nicht mehr zu uns." Hunde hingegen zeigen ignorantes Verhalten in dem beschrieben Fall so: Der kommende wird ignoriert aber nicht weggeschickt und empfindet somit, das die anderen desinteressiert an ihm sind. Die soziale Sicherheit (z.B. Rudelzugehörigkeit) wird aber nicht in Frage gestellt.

Durch das Wegschicken des Tieres empfindet dieses aber eine Unsicherheit. Diese soziale Unsicherheit kann zu folgendem Verhalten führen:

- nach oben -Möglichkeit 1:

Der Hund fühlt sich mit der Situation überfordert und buhlt um die Möglichkeit sich dem Besitzer anschließen zu dürfen. Ignoriere ich jetzt den Hund, bedeutet dies eine massive Stresssituation und die kann wiederrum zu einem nicht der Situation angemessen Verhalten führen. Er befindet sich praktisch in einem Zustand in dem er subdominantes Verhalten zeigt. Der Hund wird ständig den Besitzer beobachten und sich bemühen alles richtig zu machen. Er wird aus einer Verunsicherung heraus reagieren und kaum eine Situation selbstständig autark beurteilen. So besteht die Gefahr das ansonsten völlig sozial eingestellte Tiere plötzlich andere Hunde massiv verdrängen, sobald sich diese dem Besitzer nähern. Einfach aus dem Umstand heraus, das das eigene Tier sich seiner sozialen Stellung innerhalb des Familienverbundes nicht mehr sicher ist und diese "unsichere" Position massiv verteidigen muß um nicht noch tiefer "abzurutschen".

Bringe ich ein Tier in eine soziale Isolation, z.B. einsperren in den Bench bzw. Keller und /oder den Entzug von körperlicher Zuwendung führt dieses ebenfalls zu einer massiven Unsicherheit des Tieres, welche sich auch in körperlichen Symptomen wieder spiegeln kann. So sind hier alle stressbedingten Krankheiten möglich. Es wurde schon von plötzlichen, medizinisch nicht erklärbaren Todesfällen beim Mensch berichtet, welche eindeutig auf die soziale Ausgrenzung des Betroffenen zurück zu führen sind. Die Redensart: Er/ Sie starb an gerochenem Herzen ist also nicht nur eine Floskel sondern Tatsache. Dieser Umstand ist auch aus der "Tierwelt" bekannt. So sind genug Fälle bekannt, in denen das Tier kurz nach seiner menschlichen oder tierischen Bezugsperson verstarb. Die Tiere zeige hier submassives Verhalten, sie verkriechen sich, wehren sich seltenst und ergeben sich ihrem Schicksal.

Möglichkeit 2:

Das Tier wurde bisher zu selbstständigem Verhalten angehalten, wird jetzt verwiesen, also aus dem Verbund ausgeschlossen und akzeptiert diesen Umstand in dem es sich einen neuen Familienverbund sucht.

Der weitere Einsatz von Zwangsmitteln wie Leinenruck, Stachelhalsband, Kettenwürger ist ebenfalls nicht Erfolgversprechend.

Vermittelt er dem juvenilen Tier genau den falschen Eindruck. Das Tier möchte zur "Erwachsenenwelt" dazu gehören, befindet sich aber noch in einer emotional unsicheren Phase und erlebt jetzt einen Besitzer welcher sich nicht souverän durchsetzt sondern cholerisch überfordert wirkt und dann versucht sich dem Hund "überzuordnen" in dem er mit dem Hund "Unterordnungsübungen" o.ä. veranstaltet. Hier wird versucht natürliches Verhalten zu kontrollieren. Da sich der Hund aber in einem sehr unsicheren emotionalen Zustand befindet, welcher auch noch mit Stress verbunden ist, fällt dem Tier das lernen jetzt sehr schwer. Psychologische Studien beweisen, dass man in akuten Stresssituationen kaum lernen kann. Begeben Sie sich mal auf eine Achterbahn und versuchen Sie während der Fahrt einen Zweizeiler auswendig zu lernen. Es fällt Ihnen unter den gegebenen Umständen wesentlich schwerer als wenn Sie in entspannter Umgebung lernen.Der Hund fährt zwar "nur" emotional Achterbahn, ist aber auf einem ähnlichen Erregungsniveau. Bevor in einem solchen Zustand mit dem Tier gearbeitet werden kann, muß erst einmal eine lernfähige Situation geschaffen werden, die das Lernen begünstigt. So können die Tiere für Lernbeginn erst mal ein bisschen spielen um Power abzubauen.Ebenfalls fällt auf, das pubertierende Hunde Schwierigkeiten haben sich über einen längeren Zeitraum zu konzentrieren und das mehrfache Wiederholen von Übungen ablehnen.

junge Eurasierrüden im SpielWie soll man also mit solch pubertärem Verhalten umgehen?

Tolerant, wissend und souverän! Einerseits braucht der Hund soviel Freiraum wie möglich, andererseits aber auch eine Führung. Dieses kann man erreichen in dem man eine Flexi-oder Schleppleine für den Zeitraum verwendet. Ich kann mich in dieser Zeitspanne sehr gut auch mit meinem Hund an der (langen) Leine befassen. Ich spiele mit ihm, erlebe vieles mit ihm und kann ihm somit auch vermitteln das er zwar über die Leine mit mir Verbunden ist, aber trotzdem über genug eigenen Freiraum verfügt um Erfahrungen zu sammeln und autark zu werden. Die Leine wird somit zur Verbindung und nicht zur Einschränkung sofern ich mich auch mal den Bedürfnissen des Tieres anpasse. Will der Hund mal quer durch den Wald kann ich doch mit gehen, somit hat der Hund die Möglichkeit etwas zu erleben was er möchte und ich habe trotzdem die Führung. Achte ich jetzt noch darauf, das die Leine locker bleibt haben wir doch ein völlig entspanntes miteinander. Gleichzeitig ist aber auch Freilauf sowie Artkontakt wichtig. Lassen Sie Ihre Hund in ungefährlichem (eingezäuntem) Gelände ruhig frei laufen. Lassen Sie ihn - auch angeleint - mit Artgenossen zusammen kommen. So findet man doch bestimmt einen Konsens zwischen Führung, Neugier und Spass. Ergänzend verändert sich meine Position aus der Sicht des Tieres, vom "Beschützer und Ernährer" zum Freund und Sozialpartner.
Jemand an dem man sich orientieren kann, der nicht nur einschränkt sondern ergänzt.

- nach oben -© Jörg Tschentscher, 2006